Liebe Schwestern und Brüder,

die Atmosphäre des Karfreitags – sie birgt eine gewisse Schwere und dieser Tag scheint eingehüllt in eine dunkle Wolke. Das Kreuz wird uns heute gezeigt und die Gesänge und die Lesung der Passion spiegeln uns vielfach eine abgrundtiefe Not, sie spiegeln uns das Elend, aber auch die Grausamkeit dieses Tages wider. Karfreitag – das ist und bleibt der Todestag unseres Herrn Jesus Christus! Und wenn wir uns einfühlen in das, was ihm widerfahren ist, dann können wir – wohl nur unvollkommen – aber wir können erahnen, was er in diesen Stunden gelitten hat und wir können erahnen, wozu Menschen fähig sind, wenn ihre Kräfte entfesselt sind und ihre Fähigkeit, zerstörerisch zu wirken, ungehemmt waltet.

Der Karfreitag – er lässt uns innehalten, ruft uns geradezu auf ruhig und bedächtig zu werden. Denn nicht alles auf diesem Globus ist erfreulich und nicht überall auf dem Globus gibt es strahlende Gesichter. Der Karfreitag ist ein Tag, der uns wachrütteln möchte, der uns im geschundenen Jesus von Nazareth zuruft: Du, Mensch, vergiss es nicht: Die Not hat viele Gesichter. Und gerade uns hier in Deutschland, wo es noch vielen Menschen gut geht, schreibt der Herr dieses Wort heute ins Stammbuch. Und er will damit sagen: Wenn ihr heute den Karfreitag begeht, wenn ihr an mich denkt, wie ich gegeißelt worden bin, wie ich verspottet und verachtet wurde, wie sie mich – schon ganz zermartert auf den Weg geschickt haben, das Kreuz auf den Schultern, wie sie mich festgenagelt und meine Schmerzensschreie missachtet haben, und wie sie mich am Kreuze sterben ließen -  wenn ihr die Not in meinem Gesicht seht, meine Schmerzen und meine Einsamkeit und mein Verlassensein - dann vergesst bitte eines nicht: Die Not hat viele Gesichter.

Denken wir noch an die Menschen in Syrien – oder ist das alles schon ganz normal? Denken wir an die Menschen in Afghanistan? Oder haben wir uns daran gewöhnt? Denken wir an die Ureinwohner im Regenwald, deren angestammtes Gebiet abgeholzt wird und deren Lebensraum immer kleiner wird? - Und jetzt – Nigeria! Tote, Verwundete, Verstümmelte!

Täglich verhungern Menschen – und bei uns wird die Nahrung tonnenweise weggeworfen. - Ein Sünde, die zum Himmel schreit! Wir alle miteinander – sie und ich – wir alle miteinander, die wir uns Christen nennen - das alles geht uns  etwas an! Und denken wir nicht nur an die Menschen, die leiden. Vergessen wir im Gebilde der Schöpfung die Tiere und die Pflanzen nicht. Auch sie sind geschaffen von Gott.

Meine lieben Schwestern und Brüder, es bleibt dabei: Die Not hat viele Gesichter.

Auch bei uns! Materiell mögen viele abgesichert sein. Wie viele aber gehen bei uns seelisch zugrunde und erfrieren in der Isolation der Städte und Dörfer, weil sie keine Geborgenheit mehr erfahren, weil sie den Druck nicht mehr aushalten und ausgebrannt sind -  „burn out“. Weil die Beziehung zerbricht und jeglicher Halt verlorengeht; weil so viele keine innere Heimat mehr haben und sich immer mehr die Frage Bahn bricht: Was ist der Sinn meines Lebens? Wofür bin ich da? Für wen bin ich da? Warum lebe ich eigentlich: Um ein bisschen Spaß zu haben? Um möglichst viel in ein paar Lebensjahrzehnte einzupacken? Ein bisschen Sinn muss es doch geben! Ein bisschen Spaß darf doch wohl sein!  

Liebe Schwestern und Brüder, am Karfreitag hört der Spaß auf! Hier zieht uns der Herr selbst auf den Boden der Realität, erdet uns angesichts seines Leidens und seines Sterbens.

Und es ist gut, dass wir diesen Feiertag haben, dass wir innehalten und uns berühren lassen vom Geschehen dieses Tages.

Ja, dass wir an die vielen denken, die unserer Hilfe bedürfen, dass wir aber auch unsere eigenen Wunden in seine göttlichen Wunden legen und uns so ganz innig mit ihm verbinden. Aber nicht nur das.

Dass wir in dem gescheiterten Jesus von Nazareth erkennen, dass nicht die Leistung, sondern die Liebe zählt und der Karfreitag unsere von Leistung geprägte Gesellschaft und damit auch dich und mich in Frage stellt.

Der Karfreitag – so gesehen – kann uns die Augen öffnen für unsere eigene Wirklichkeit und für die Wirklichkeit dieser Welt.

Der Karfreitag – so gesehen – wird uns aber im Blick auf den Gekreuzigten noch eine Botschaft mit auf den Weg geben, die tief in unser Herz fallen möge und uns trösten und stärken soll auf unserem Weg durch diese Zeit. Denn in Jesus erkennen wir mehr als den Heiler, den, der sich auf die Seite der Armen und Unterdrückten geschlagen hat. Er ist mehr als der, der Hungernde speiste und sich vom Leid der Menschen anrühren ließ. Das alles ist richtig und wichtig.

Wer aber Jesus betrachtet, wer sich ihm nähert – gerade auch nachher bei der Kreuzverehrung-, der darf und der soll wissen: In Jesus, dem Christus, begeg-nest Du Gott und im Blick auf den Gekreuzigten ist uns zugesagt: Gott ist nicht jenseits deiner Lebensgeschichte – irgendwo unberührbar, über allem erhaben! Nein, das ist Gott fürwahr nicht! ER ist inmitten meiner Geschichte und in der Geschichte meiner Schwestern und Brüder und der ganzen Schöpfung. Er will es mit uns zu tun haben!  

Und so schwingt in diesem Tag, der eine gewisse Schwere in sich birgt und wie von einer dunklen Wolke umhüllt ist,  - so schwingt in diesem Tag doch ein Funke Hoffnung, weil auch dieser Tag von Gott durchdrungen, von Gott umgeben und in Gottes Händen ist. Amen.

Zum Seitenanfang