Liebe Schwestern und Brüder,
ein arabisches Sprichwort sagt: „Gehe eine Meile, einen Kranken zu besuchen, zwei, um Frieden zwischen zwei Menschen zu stiften und drei, um einen Freund zu sehen.“
Dieses arabische Sprichwort führt zunächst vor Augen, dass wir Menschen in Beziehung leben, dass wir mit anderen verbunden sind und sie im Blick haben: die Kranken, jene, die im Unfrieden sind und unsere Freunde. Und zugleich führt uns dieses Sprichwort noch ein anderes vor Augen: Mit dem Wort „Gehe“ wird deutlich, dass wir Menschen auf dem Weg sind. Wir alle sind unterwegs durch diese Zeit mit ihren vielfachen Ausprägungen. Mit dem Schönen, was uns freut, was unserem Leben eine besondere Note gibt, was unser Herz berührt und ihm Frieden und Ruhe schenkt, Hoffnung und Zuversicht. Und da ist zugleich die andere Seite: das Schreckliche, das uns immer wieder erschüttert, das uns Angst macht, das uns zu Tränen rührt, weil uns das Schicksal der Menschen nicht egal ist, weil es uns anrührt und wir alle zutiefst dankbar sein können, dass wir vor so viel Elend bisher verschont geblieben sind.
Ja, wir sind Menschen unterwegs. Unterwegs zu Kranken, zu Menschen, die nicht in Frieden leben, zu Menschen, die wir Freunde nennen, denen wir uns verbunden fühlen und für die wir froh und dankbar sind. Unterwegs zu so vielen, auf dem Weg durch diese Zeit.
Unterwegs, auf dem Weg sein – davon ist auch die Rede im heutigen Evangelium. Jesus ist unterwegs, und er ist unterwegs mit seinen Jüngern – im Gebiet von Caesarea Philippi. Sie sind schon seit längerer Zeit miteinander unterwegs. So manches haben die Jünger auf dem Weg mit Jesus erlebt und erfahren und auch Jesus hat feststellen können, welche Männer ihn begleiten. Sie haben sich auf dem Weg kennen gelernt. Sie haben voneinander das eine oder andere gehört und immer wieder hat Jesus sie in Wort und Tat unterrichtet. Sie folgen ihm und es muss wohl so gewesen sein, dass die Jünger zutiefst von Jesus beeindruckt waren. Ja, er hatte sie für sich gewonnen und ER war ihnen ans Herz gewachsen. Und in diesem gegenseitigen Verbundensein, das auf dem Weg gewachsen ist - da stellt Jesus die Frage: „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ Was die anderen Leute über ihn sagen, er sei Johannes der Täufer, Elia, Jeremia oder einer der anderen Propheten – das spielt in diesem Moment keine Rolle. Jetzt gilt eines: Ihr aber, für wen haltet ihr mich? Oder mit anderen Worten: Wir sind jetzt schon so lange unterwegs, wir sind viele Meilen miteinander auf dem Weg, tagelang, wochenlang! Was glaubt ihr: Wer bin ich? „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“
Das ist die alles entscheidende Frage. Und da ergreift ein Weggefährte das Wort, Petrus. Er antwortet kurz und präzise: „Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes!“
Hier können wir einmal innehalten. Denn auch wir sind ja schon lange mit Jesus auf dem Weg. Er gehört zu uns – wohl bei den meisten seit Kindesbeinen an. Und wir wenden uns immer wieder an ihn im Gebet und in unseren Liedern. Und wir können uns an dieser Stelle fragen: Was bedeutet Jesus für mich auf dem Weg durch diese Zeit? Wie bin ich mit ihm bekannt geworden? Wie habe ich ihn kennengelernt? Und wie antworte ich ihm heute: „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ Was antworte ich Jesus?
Vielleicht ist das ja gar nicht so einfach! Mag sein, dass einer sagt: Ich bin seit einiger Zeit so voller Zweifel, dass ich heute nicht so gerade heraus antworten kann wie Petrus. Ich fühle mich eher wie Thomas – ich zweifle. Eine andere unter uns mag unvermittelt das unterschreiben, was Petrus gesagt hat: Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes. Und wieder ein anderer ist im Glauben so hin und hergeworfen, dass ihm jetzt gar keine Antwort möglich ist. Es ist ja nicht jeder Tag gleich und es gibt auch im Glauben ein Wachsen und Reifen und es gibt auch Zeiten, da gehen wir gleichsam durch eine Wüste und Jesus scheint weit weg zu sein.
Und gerade darum, meine lieben Schwestern und Brüder, wünsche ich uns allen, dass wir nicht aufhören, Christus zu suchen – auch und gerade in Zeiten des Zweifels, in Phasen der Dunkelheit und so vieler Fragen, die uns oft genug beschäftigen – dass wir Suchende bleiben, Ringende, Hoffende. Dass wir auch in schweren Stunden ausharren und dass wir mit dem heiligen Paulus sprechen: „Christus will ich erkennen und die Macht seiner Auferstehung und die Gemeinschaft mit seinen Leiden. Sein Tod soll mich prägen. So hoffe ich, auch zur Auferstehung von den Toten zu gelangen.“
Und vielleicht ist ja unsere Antwort auf die Frage Jesu: Für wen aber haltet ihr mich? – vielleicht ist ja die Antwort auf diese Frage der innige Bittruf: Lass mich dich erkennen, lass mich dich tiefer erkennen – auch durch die Zweifel hindurch. Durch den Nebel und die Fragen hindurch – lass mich dich erkennen, tiefer erkennen und lass mich glauben, aus ganzem Herzen glauben, dass du der Sohn des lebendigen Gottes bist.
„Ihr aber, für wen haltet ihr mich? Das ist die Frage, auf die wir unsere Antwort geben dürfen. Das ist die Frage, die uns als Christen ein Leben lang beschäftigen soll. Das ist die Frage, die uns auf unserem Weg durch diese Zeit begleitet und die einst ihre Erfüllung findet, wenn wir vor Christus stehen und ihn als unseren Herrn und Heiland erkennen dürfen, wenn er sich uns offenbart und unser Unterwegssein in ihm zum Ziel gelangt. Amen.

Zum Seitenanfang