Liebe Schwestern und Brüder!

Es ist bei uns Brauch, dass am Freitag um 15.00 Uhr die große Glocke läutet. Mit dem ersten Glockenschlag werden wir an Golgotha erinnert, an die Todes-stunde Jesu und an sein Sterben am Kreuz. Dieses tragische Geschehen wirft seinen Schatten auf alle Zeiten – vor und nach Christus. So zählen wir ja auch in unserer Kultur die Jahre.

Der Leitspruch der Kartäusermönche lautet: Das Kreuz steht, solange die Welt sich dreht.“ Und es ist ja eine Tatsache, dass wir immer wieder dem Kreuz begegnen. Es ziert so manchen Berggipfel, es leuchtet von unseren Kirchtürmen, wenn wir durch die Fluren unserer Heimat gehen, dann stehen sie mächtig da, die Feldkreuze, deren Stifter oft schon 100 Jahre und länger tot sind. Andere tragen das Kreuz an einer kleinen Kette um den Hals, nicht wenige Heiligengestalten tragen als Attribut ein Kreuz in der Hand, wie z.B. der heilige Bruder Konrad von Parzham und manche Heilige heißen „vom Kreuz“ wie z.B. die heilige Sr. Benedicta vom Kreuz, die einstige Jüdin Edith Stein.

Was aber bedeutet das Kreuz für uns? Wie reagieren wir auf das Kreuz? Wir machen das Kreuzzeichen. Wir singen: „Heilges Kreuz sei hoch verehret.“ In unseren Häusern findet sich das eine oder andere Kreuz. Ist damit aber schon deutlich genug zum Ausdruck gebracht, was mir das Kreuz bedeutet? Hand auf’s Herz: Ist manches nicht Routine? Haben wir uns nicht schon zu sehr an das Kreuz gewöhnt?

„Heilges Kreuz sei hoch verehret, hartes Ruhbett meines Herrn.“ Es hält uns Jesus vor Augen in seinem Leid, in seinem Schmerz, in seiner Agonie und es lässt in unseren Ohren den markerschütternden Schrei erklingen: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen.“

Das Kreuz, meine lieben Schwestern und Brüder, ist mehr als ein Kunstwerk, das in verschiedenen Zeiten seine jeweils stilistische Fassung bekommen hat. Es ist mehr, als ein Stück Erinnerung, so richtig das auch alles ist.

Aber in seiner tiefsten Bedeutung hat dieses Symbol für uns alle eine heilbringende Botschaft: Dass nämlich durch das Kreuz, durch Leiden und Tod des Herrn, uns Leben geschenkt wird, Heil und Rettung. Und das bekennen wir, daran glauben wir, auch wenn uns im Blick auf das Kreuz vielleicht manchmal die Frage drückt: Hat das denn sein müssen? Warum hat Gott seinen Sohn nicht verschont? Und es mögen in diesem Moment die Worte in uns aufsteigen: „Vater, wenn es möglich ist, lass diesen Kelch an mir vorübergehen!“ Jesus weiß, dass Schweres ihn erwartet. Und doch ergibt er sich in den Willen Gottes und er sagt selbst: „Aber nicht mein, sondern dein Wille geschehe.“ Und er bleibt so treu, er erfüllt den Willen des Vaters in der Weise, dass der Apostel Johannes in seinem Evangelium schreibt: „Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat (Joh 3,16). Die Kraft, die Hoffnung und die Zuversicht, die aus dem Geheimnis des Todes und der Auferstehung Jesu erwächst, all das können wir erfahren, wenn wir uns auf Jesus Christus einlassen; mit anderen Worten: wenn wir glauben, wenn wir dem Herrn vertrauen und wenn wir im Herzen und mit dem Mund bekennen, was der Dichter in die Worte gefasst hat: „Selig, selig, die da glauben, selig, denn sie werden sehn: Eins wird sich das Kreuz belauben und die Hoffnung auferstehn.“ Ja, darin schwingt Hoffnung und Leben. Und darin schwingt aber ebenso der Aufruf, das Kreuz, wie es uns im Hier und Heute erscheint, nicht zu verniedlichen, die Leidenden zu sehen, die ungerecht Verfolgten nicht aus dem Blickwinkel zu verbannen und die Wirklichkeit auch mit ihrer unschönen Seite wahrzunehmen und zu sehen. Das alles zu verharmlosen oder gar auf den Himmel zu verweisen nach dem Motto: Da oben wird es euch dann besser gehen – das ist nicht nur eine Demütigung der Gedemütigten, das ist vor allem ein nicht Wahrnehmen der Verantwortung. Denn das Kreuz ist Auftrag und Aufgabe!

Kardinal Lehmann hat einmal gesagt: „Wir sehen unsere Geschichte und unser Tun oft als großen Fortschritt an – gewiss ist er das auch. Aber oft unterschlagen wir die Opfer, die auf der Strecke bleiben, wehren uns, die Nachtseite unserer Fortschritte in Erinnerung zu bringen. Aber sind Geschichte und Geschichtsschreibung nur die Dokumentation des Erfolgs, der Rücksichtslosigkeit der jeweils Stärkeren, des Glücks der Durchgekommenen und des Vergessens derer, die nicht siegten? Das Bild des gekreuzigten, ungerecht hingerichteten Jesus bringt dieses stille und oft sprachlose Leid in lebendige Erinnerung.“

Dessen werden wir uns gerade auch heute bewusst, am Fest Kreuzerhöhung.

Es gibt in unserer Welt unsägliches Leid. Wir sehen es in den Medien. Andere jedoch werden kaum oder gar nicht genannt, und das möchte ich kurz an wenigen Beispielen zeigen, was oft in Vergessenheit gerät: die vielen Buben in Afrika, die als Kindersoldaten im Töten ausgebildet werden, die nicht selten dabei ihr Leben verlieren oder für ihr ganzes Lebens traumatisiert sind. Ich denke an die vielen Kinder und Erwachsenen auf der Erde, die unter erbärmlichen Bedingungen arbeiten müssen, dafür auch noch schlecht entlohnt werden, damit wir z.B. günstige Kleidung kaufen können. Ich denke an die Eingeborenen in den Urwäldern im Amazonasgebiet, die man aus ihren angestammten Gebieten vertreibt, so dass auch den Tieren der Lebensraum genommen wird. Wie gehen wir mit der Schöpfung um? Durchkreuzen wir Menschen durch unser Verhalten nicht oft genug den Plan Gottes?

Liebe Schwestern und Brüder, Kreuzerhöhung ist nicht nur ein Fest, das an Vergangenes erinnert. Kreuzerhöhung ist ein Fest, dass uns mahnt und uns aufruft, Ostern, der Auferstehung, dem Leben den Weg zu bereiten und so Gott und den Menschen zu dienen. Amen.

+ Rhabanus Petri OSB

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