4 abt rhabanus bei der predigtLiebe Schwestern und Brüder,
es war am 18. Dezember 1937, da floss aus der Feder des evangelischen Theologen und Journalisten Jochen Klepper ein Gedicht, das mit den Worten anhebt: „Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern. So sei nun Lob gesungen dem hellen Morgenstern! Auch wer zur Nacht geweinet, der stimme froh mit ein. Der Morgenstern bescheinet auch deine Angst und Pein.“
Nacht, Tränen, Angst und Pein – sie stehen dem Tag, dem frohen Singen und dem Morgenstern gegenüber. Liebe Schwestern und Brüder, wenn ich diese Worte höre, dann spüre ich immer eine Spannung – die Spannung zwischen dunkel und hell, zwischen Leid und Freude, zwischen Lachen und Weinen.
Gerade wie bei dem Propheten Jesaja, der zu uns gesprochen hat in der dritten Nokturn: „Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht; über denen, die im Land der Finsternis wohnen, strahlt ein Licht auf.“ Auch hier spüren wir die Spannung von Dunkelheit, von Finsternis und Licht. Und wenn wir uns die Situation vor Augen halten, in der Jesaja den Menschen diese Worte zuspricht, dann können wir erahnen, welche Hoffnung und Zuversicht der Prophet in den Menschen entfacht hat. Das Land ist verwüstet, zerstört, kaputt; das Volk ist völlig verängstigt und die Herzen sind verwundet. Viel ist zu Bruch gegangen – außen und innen. Und in diese Trübsal und Traurigkeit leuchtet sein Wort, in diese Tristesse leuchtet seine Verheißung wie eine Kerze, die in einen finsteren Raum gestellt wird. Und so keimt Hoffnung, und zwar eine Hoffnung, die in Gott ihre Ursache hat, denn der Prophet ist Gottesmann, ein Herold Gottes.
Was er verkündet ist nicht von Menschen erdacht, sondern göttlichen Ursprungs. Und wir, die wir jetzt hier versammelt sind? Wir sind in der Nacht aufgebro-chen. Gewiss, unsere Möglichkeiten sind heute anders und die Energie schafft es, die Nacht zu erhellen, manchmal zum Tag zu machen. Aber das heißt noch lange nicht, dass die Nacht besiegt ist. Nacht ist eben nicht nur, wenn es draußen dunkel ist. Nacht – sie auch ein Synonym für die Beschreibung eines Zustandes.
Wenn über die Menschheit Nacht einbricht, dann ereignet sich Schlimmes, dann ereignet sich Böses, wie zur Zeit des Dichters Jochen Klepper, als die Nazional-sozialisten immer mächtiger wurden und sich über der Menschheit eine unfassbar grauenvolle Katastrophe zusammenbraute. Und heute? Gerade diese Nacht, diese heilige Nacht, lässt uns an die vielen denken, die unter Krieg und Terror leiden, die aus ihrer Heimat geflohen sind – teilweise minderjährig, ohne Familie, weil diese womöglich gar nicht mehr existiert. Herbergsuche ist nicht mehr nur ein gefühlvoller Teil eines Krippenspiels beim Salzburger Adventssingen. Herbergsuche – sie ist greifbare, sichtbare Realität geworden. Wir können sie ablesen – in den Gesichtern der Kinder, der Männer und Frauen, der alten und der jungen Menschen. Aus dem vorweihnachtlichen Spiel ist bitterer Ernst geworden, der uns vor Augen führt, was es bedeuten kann, wenn es Nacht wird und Menschen die von Menschen verursachte Nacht zu spüren bekommen und bis zur Neige auskosten müssen.
Und wir selbst – Sie und ich? Haben wir nicht alle unsere ganz eigenen Nachterfahrungen? Sind wir nicht alle auf je eigene Weise auch schon mit Nacht konfrontiert worden: Die Nacht des Versagens: Ich habe nicht genügt! Ich war nicht gut genug! Die Nacht der Schuld: Ich habe jemandem sehr weh getan! Ich war nicht ehrlich! Ich war unehrenhaft! Die Nacht der Traurigkeit und der Unzufriedenheit, weil mein Leben nicht so verlaufen ist, wie ich es mir vorgestellt habe.
Liebe Schwestern und Brüder, die Nacht in unserem Leben hat verschiedene Gesichter. So verschieden wie die Gesichter, die ich auf manchem Krippenbild entdecke. Gesichter, die sich dem Kind zuwenden, das in der Krippe liegt und von dem so viel Licht ausgeht, dass die Gesichter, je näher sie dran sind, hell werden, Konturen bekommen; aus der Dunkelheit, aus der Nacht heraustreten und ins Licht kommen und für die sich erfüllt: „Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht; über denen, die im Land der Finsternis wohnen, strahlt ein Licht auf.“
Diese Gestalten, diese Frauen und Männer, die da zu sehen sind – sie stehen an verschiedenen Stellen; manche ganz vorne, wo es strahlend hell ist und wieder andere etwas weiter entfernt, wo sie noch im Halbdunkel sind. Aber alle sind vom Licht des Kindes berührt. Für alle leuchtet dieses Kind und schenkt Hoffnung und Zuversicht, lädt zum Leben ein und will, dass Leben erleuchtet wird.
Das ist Weihnachten: Die Erfüllung der Verheißung Gottes, der in der Lage ist, auch aus der tiefsten Finsternis Licht erstrahlen zu lassen. Der in der Lage ist, auch unsere Finsternis zu erhellen und uns zuzurufen: Fasse Mut! Habe Vertrauen! Nimm dein Leben in die Hand! Fang neu an! Gib der Hoffnung eine Chance.
Ich frage mich: Ob er einen Platz bei uns findet? Ob er einen Platz in unserem Herzen findet? Was könnte geschehen, wenn er in unserem Herzen lebte, wenn er in uns so viel Raum hätte, dass er durch uns hindurchleuchten könnte: durch unsere guten Worte und Taten, durch unser Leben, durch unser ganzes Sein?
Was könnte geschehen? – Großes könnte geschehen, und der Ordenspriester Phil Bosmans fasst es in die Worte: „Weihnachten ist der Durchbruch Gottes, der Durchbruch der Liebe in dieser Welt, die so dunkel und kalt ist, bis hin zu deinem Herzen. Das ist etwas Gewaltiges. In diesen Weihnachtstagen kann jeder Güte und Liebe aufnehmen. Auch du. Auch wenn du noch so arm bist, leer und kalt. So war doch auch die Krippe. Sie hatte nur einen Vorteil: sie war offen. Das ist aber auch alles, was von dir verlangt wird in diesen Weihnachtstagen: offen sein!“
Sind wir offen für das Gotteskind? Ich wünsche es uns aus ganzem Herzen, damit sein Licht in uns wohne und damit wir füreinander Licht werden, gütig zueinander sind, indem einander verzeihen und Frieden wünschen und Frieden leben, indem wir Verständnis füreinander haben und durch unser Reden und Tun deutlich wird, dass wir Christen sind.
„Liebe Schwestern und Brüder, die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern.“ Der Morgenstern wird auch uns bescheinen – das Licht aus der Höhe. Amen.